Montag, 22. November 2010

In loving memory of...

Hallo Welt,

heute ist der Todestag meiner Mutter. Es ist ihr Todestag und niemanden interessiert es. Am liebsten würde ich eine Anzeige in der Zeitung schalten, damit irgendwer, egal ob er sie kannte oder nicht, für ein paar Minuten an sie denkt. Mein Vater hockt in seinem Heim, meine Schwester bei ihrem Mann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der beiden eine Kerze für sie anzündet oder sich alte Fotos ansieht. Sie wurde vergessen und die Familie, in der sie lebte, existiert nicht mehr. Hat sich selbst ausgelöscht. Ist das nicht verrückt? Sie ist tot und es ist, als habe es sie nie gegeben.

Ich war heute auf dem Friedhof, dort, wo ihre Urne begraben liegt. Sie hatte damals darum gebeten, nicht verbrannt zu werden, aber mein Vater hat es trotzdem getan. In ihrem Tod war sie ohnmächtig. Ich kann mir vorstellen, warum sie nicht verbrannt werden wollte: Weil sie nicht so schnell verschwinden wollte. Nicht so schnell Asche und Staub sein wollte. Wenn man von Würmern gefressen wird, ist man zumindest noch Teil der Welt. Man erhält Lebewesen am Leben, die wieder andere Lebewesen am Leben erhalten. Wenn man verbrannt wird, ist man gar nichts mehr. Nicht mehr zu erkennen. Im Zweifelsfall nicht mehr zu identifizieren. Ausgelöscht.

Ich würde am liebsten zu meinem Vater gehen und ihm ins Gesicht schreien, dass er verdammt nochmal für sie beten soll. Ich würde gern meine Schwester aus ihrem häuslichen Glück zerren, auf den kalten, nassen Friedhof, würde die Urne ausgraben und sie einen Blick hinein werfen lassen und sagen: Das war deine Mutter, weisst du noch? Ohne sie wärst du gar nichts. Ohne sie wärst du nicht da, wo du heute bist. Meine Mutter war die Einzige in meiner Familie, die wirklich ein Herz hatte. Aber das interessierte meinen Vater reichlich wenig, als er sie verbrennen lassen hat.

Vielleicht fahre ich irgendwann auf den Friedhof, stehle ihre Urne, bringe sie ans Meer und verstreue sie über dem Wasser. Das Meer ist immer in Bewegung, es lebt, es würde ihre Asche mitnehmen an Orte, die sie nie gesehen hat, als sie noch Fleisch und Blut war und die mein Vater und meine Schwester niemals sehen werden.

Und immer, wenn ich ans Meer käme, würde ich wissen, dass sie auch irgendwie da ist.


Danke fürs Lesen,
Eure GloomyFox

5 Kommentare:

  1. Hallo liebe GloomyFox,
    Mann-O-Mann Du hast ja heute einen wirklich besch... Tag. Du hast sicher recht mit dem, was Du schreibst und ich finde es auch gut, dass es raus lässt. Deine restliche Familie scheint ja wirklich etwas schwierig zu sein. Aber Deine Mutter ist nicht vergessen, weil zumindest Du sie fest in Deinen Gedanken verankert hast. Und die toten sind nicht tot und vergessen, so lange sie in den Gedanken anderer weiter leben.

    Soll ich Dir mal ein Gemeimis von mir verrraten? Wir sind ja unter uns! Wenn ich mal so richtig fertig bin, muss ich immer raus, raus auf die Straße. Ich fahre dann im Auto in der Gegend rum und schreie so laut ich kann. Und hey, das ist verdammt laut! Wenn das jemand hört, denkt er sicher, ich hätte einen an der Waffel. Aber danach geht es mir wieder gut.

    Mensch GloomyFox, das gute an der virtuellen Welt ist, dass man mit vielen Menschen (Gratulation übrigens zu Deinen 1000 Lesern!!!) "reden" kann. Der ein oder andere antwortet sogar - so wie ich. Aber das blöde der virtuellen Welt ist eben, dass sie virtuell ist. Ich würde Dich jetzt gerne in den Arm nehmen und ein bisschen trösten und Dich anschließend ins Kino oder auf 'ne Pizza oder beides einladen oder was auh immer, damit Du wieder auf gute Gedanken kommst.

    Also, liebe GloomyFox, jetzt stell' Dir das einfach vor und denk' daran, dass Du nicht alleine bist.

    Ganz liebe Grüße

    Al

    AntwortenLöschen
  2. Das hier ist 1000 Mal besser als eine Anzeige in einer Zeitung. Die Leser hier lesen sich den Text ja auch durch. Eine Zeitungsanzeige bekommt niemals so viel Aufmerksamkeit. Insofern hast Du Dein Tagesziel voll erreicht. :-)

    Die Nummer mit dem Diebstahl der Asche und dem Verstreuen im Meer, würde ich an Deiner Stelle echt durchziehen. Das ist alles in einem: Abenteuer, Verbrechen, Rebellentum, Liebe, Wahnsinn, Respekt, Verehrung, Rücksichtslosigkeit, ...mehr geht nicht! Mach es Mädel!

    AntwortenLöschen
  3. Hi,
    und Danke für eure lieben Kommentare. Ich war echt am Ende vorgestern und das hier hat mich super aufgebaut. Mehr als alle, die ich an diesem Tag im echten Leben getroffen hab ;) Wer weiß, vielleicht spar ich was zusammen und bring meine Mutter echt ans Meer...

    AntwortenLöschen
  4. Ich bin auch der Meinung, das Du mit diesem Artikel mehr erreicht hast (für Dich und die Leser), als es eine Anzeige in der Zeitung je gekonnt hätte.
    Daumen hoch!

    AntwortenLöschen