Sonntag, 14. November 2010

Die Frage nach dem Warum

Liebe Welt (Lieber Al),

jetzt sitze ich hier schon eine ganze Weile vorm PC und lese immer wieder die letzten Kommentare. Sowieso bin ich mal wieder überwältigt von der Resonanz auf meine Texte hier.

Natürlich stelle ich mir auch oft genug die Frage, warum ich diesen Job überhaupt mache. Ich meine, es steht logisch gesehen in keinem Zusammenhang, dass meine Mutter an Krebs gestorben ist und dass ich auf den Strich gehe. In den ersten Wochen, nachdem ich mit dem Job angefangen habe, stand ich oft genug vorm Spiegel und habe mich gefragt, warum. Aber ich habe auch etwas gemerkt- ich habe gemerkt, ich konnte mir selbst noch in die Augen sehen. Ich schämte mich nicht dafür, eine Hure zu sein. Das hat mich irgendwie gewundert, mich aber gleichzeitig noch tiefer reingezogen, denn immer, wenn ich mal nicht zur Arbeit ging, saß ich abends auf meinem Sofa und fühlte mich leer und allein und ich dachte mir, wie soll es weitergehen? Was wird noch passieren, bis ich ebenfalls sterbe?

Vielleicht kennt ihr diese Momente- wenn man plötzlich spürt, wie endlich das Leben ist, so dass es einem richtig die Luft abschnürt. In diesen Momenten trieb es mich wieder raus auf die Straße. Denn auch, wenn der Straßenstrich gefährlich und hart ist, ist es dort immer lebendig, zu jeder Tageszeit, zu jeder Jahreszeit. Also ging ich wieder hin un mittlerweile denke ich oft wochenlang gar nicht darüber nach, was ich mache und warum. Und wenn doch, so wie heute, dann komme ich zu keinem richtigen Schluss. Ich könnte aufhören, klar. Ich könnte mir was Sichereres suchen, sicher. Aber dass ich es bisher nicht getan habe, zeigt doch irgendwie, dass ich es nicht will- oder vielleicht doch nicht kann? Ihr seht, ich bin ratlos.

Ich sitze hier jetzt schon seit einer Stunde oder so, obwohl ich längst weg sein wollte und überlege, um eine befriedigende Antwort hierhin schreiben zu können, aber wie es aussieht, gibt es im Moment keine. Es gibt für mich nur diesen Wechsel aus Tagen wo ich mich beschissen fühle, ohne den Grund zu kennen und Tagen, an denen ich mich toll und begehrt fühle, gerade wegen meinem Job. Es gibt Tage, da kriege ich das Kotzen wenn ich nur an die Arbeit denke und Tage, an denen ich Dinge erlebe, die so neu und spannend und teillweise auch so schön sind, dass ich nie mehr was anderes machen will.

Vielleicht erkenne ich irgendwann den wahren Grund, vielleicht erkennt ihn mein Psycho, vielleicht höre ichaber auch von selbst einfach irgendwann auf und mache was ganz anderes. Vielleicht fügt sich aber auch einfach alles weiter so passend ineinander wie im Moment: Ich sitze hier in der pulsierenden, erleuchteten, regennassen Stadt, Tag für Tag, mit meinem gefühlskalten Mitbewohner und meiner alten Nachbarin, die tagein, tagaus Roy Black- Schallplatten hört und sobald es dunkel wird, gehe ich auf die Straße und füge mich ein ins verkommene, schmuddelige Bild einer Großstadt im 21. Jahrhundert...hasse es irgendwie und liebe es irgendwie ;-)

Wenn ihr noch raus müsst- nehmt einen Schirm mit.
Eure GloomyFox  

3 Kommentare:

  1. Hallo GloomyFox,
    ich glaube, dass man in Deinem Job sehr häufig die Sinnfrage stellt. Das hat manchmal mit dem Wetter zu tun oder mit den Erlebnissen Deiner Kunden, und natürlich vor allem wegen des Jobs an sich. Aber so geht es sicher jedem Menschen in jedem Job - das ist normal. Du braucht Dich nicht für das schämen, was Du tust, so lange Du mit Dir selbst im Reinen bist.
    Du musst nur aufpassen, dass Du nicht in dem Bereich Deiner Tätigkeit, in dem Du Dich gerade befindest - dem Straßenstrich - mit den falschen Leuten zusammenkommst (fiese Freier, Junkies, Zuhälter etc.). Ich hatte mich ja schon in anderen Kommentaren dazu geäußert. Je besser Du Deinen Job organisierst, desto mehr kannst Du Dir Deine Kunden aussuchen. Dann hast Du die Kontrolle und musst Dich nicht zu sehr nur vom Geld treiben lassen. Man kann ja in Deinem Job durchaus ganz ordentlich verdienen, zumindest genug für ein - zumindest gefühlt - freies Leben. Ansonsten mache ich mir Sorgen, dass es gefährlich wird und/oder Du vielleicht Dinge tuen musst, für die Du Dich dann doch schämst.
    Sorry, jetzt habe ich schon wieder so viel geschrieben. Ich will Dir auch nicht in Dein Leben reinreden, aber es bewegt mich irgendwie und ich möchte Dir zumindest meine Gedanken dazu übermitteln.
    Viele Grüße
    Al

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  2. Wie Al schon sagte, sehe ich es auch so, dass es ausnahmslos allen so geht und sich jeder irgendwann einmal diese Sinnfrage stellt - inwieweit man diese für sich beantworten kann, sei dahin gestellt.
    Wichtig ist, dass du damit klar kommst und nicht das Gefühl hast jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen.

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  3. @ Al und pueppi

    Vielen Dank für eure Kommentare und die Gedanken, die ihr euch macht :-)

    Ich für meinen Teil komme, zumindest im Moment, gut mit dem klar, was ich tue. Vielleicht leigt das daran, dass ich keine Bezugsperson habe, die etwas dagegen haben könnte...

    Alles Liebe,
    Eure GloomyFox

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